Wohlis Kutschbetrieb und Ginas Reitschule
Ein starkes Team aus Pferd und Mensch – dank artgerechter Herdehaltung
Ein starkes Team aus Pferd und Mensch – dank artgerechter Herdehaltung
Staub wirbelt auf, Hufe knirschen auf dem Kies, da und dort erklingt ein Wiehern oder Schnauben: Wenn die rund vierzig Pferde von Gina und Werner «Wohli» Wohlwend morgens von der Nachtweide hinüber wechseln zum Stallgelände, wähnt man sich kurz in einem Western. Nur dass hier in Pontresina am Ende der Herde kein Cowboy etwaige Ausreisser zurückscheucht, sondern Gina auf dem E-Bike. «Wir lieben Tiere und schon früh war uns klar, dass wir unbedingt mit Pferden arbeiten wollten. Aber nur, wenn wir sie als Herde halten konnten», sagt Gina, «dafür braucht es viel Platz. Den haben wir hier im Oberengadin bei einem Landwirtschaftsbetrieb mit anliegenden Weiden gefunden. Ein Glücksfall.»
Inzwischen ist die Herde auf ihrem Hof beim Reitplatz angekommen. Werner Wohlwend, von allen «Wohli» genannt, steht in der Mitte des Platzes mit einer langen Peitsche. Die schwingt er langsam im Kreis, ruft «Hejahopp» und setzt damit die Herde in Bewegung. Während der nächsten Viertelstunde beobachtet der 62-Jährige genau, wie sich die Pferde um ihn im Kreis bewegen. Sind alle gesund? Lahmt eines? Diese Check-up-Runde machen er und Gina jeden Morgen. «Die Herdenhaltung mit dem Freilauf auf den Weiden hat gleich mehrere Vorteile», sagt Wohli, «die Tiere kennen ihren Rang in der Herde, haben ihre Freundinnen oder Freunde immer in der Nähe und sind durch das ständige Draussen sein an alle Umgebungsgeräusche gewohnt. Solche Tiere erschrecken selten.»
Jury-Mitglied Jean-Paul Lachat
Jetzt trotten die Pferde hinüber auf einen grossen, eingezäunten Platz mit mehreren überdachten Liegeflächen. Hier ruhen und fressen die Tiere tagsüber, hier holt das rund zehnköpfige Team jene Pferde, die gerade für die nächsten Arbeiten gebraucht werden. Zum Beispiel Wohlis Lieblingswallach Major: ein imposanter Schimmel, fast eine Tonne schwer. Er wird zusammen mit zwei anderen, ähnlich grossen Pferden vor eine 15-plätzige Kutsche gespannt. «Eines unserer zwei wirtschaftlichen Standbeine ist der Pferde-Omnibus ins Roseg-Tal», sagt Wohli. «Das Tal darf nicht mit Autos befahren werden. Aber mit Pferdekraft schon. Vor 15 Jahren konnten wir von der Gemeinde Pontresina den Auftrag für diesen speziellen Busbetrieb übernehmen. Im Sommer fahren wir rund sieben Mal am Tag hin- und zurück.»
Für das zweite Standbein ist Gina zuständig: Zusammen mit der Mitarbeiterin Melanie Bregenzer sattelt sie Pferde für einen Ausritt. «Weil die Tiere so ruhig sind, können wir auch mit Anfängern aus aller Welt wunderschöne Ausflüge rund um Pontresina geniessen und für Einheimische Reitstunden anbieten», sagt die 61-Jährige. Nebst ihren Pferden halten Gina und Wohli auf ihrem Betrieb auch Esel und Schafe – und ernten das meiste Winterfutter selbst. Seit 25 Jahren führen sie ihren Hof mit viel Herzblut und haben dabei vier Kinder grossgezogen, die sie mit dem «Pferdevirus» angesteckt haben. Gianna, die jüngste Tochter, ist inzwischen ausgebildete Landwirtin: «Wir freuen uns, in die grossen Fussstapfen meiner Eltern treten und die super Pferde übernehmen zu dürfen. Da wollen wir nichts ändern. Potenzial zur Entlastung sehen mein Mann und ich in der Digitalisierung. So möchten wir unter anderem eine Buchungsplattform einführen», sagt die 27-Jährige. Derweil fischt Gina sich das klingelnde Handy aus der Hosentasche. Ein Kunde fragt gerade für einen Ausritt an. Kaum aufgehängt, klingelt es erneut. Geduldig und herzlich erklärt die Reitlehrerin der Anruferin den Weg zum Reitstall. Sie bleibt die Ruhe selbst, auch wenn grad fünf Personen auf einmal ihre Aufmerksamkeit suchen. Diese Nervenstärke: Ob sie sich von den Menschen auf die Pferde überträgt oder umgekehrt, bleibt offen. Aber eins ist klar: Menschen und Tiere bilden hier ein starkes Team.