Chamanna Cluozza
Wenn das frische Gemüse mitwandert: die konsequent nachhaltige Berghütte
Wenn das frische Gemüse mitwandert: die konsequent nachhaltige Berghütte
Leicht verschwitzt kommen Franziska Heidenreich und ihre beiden Kinder Benjamin und Nina bei der Chamanna Cluozza auf 1891 Metern an. Herzlich werden sie von der Hüttenwartin Nicole Naue mit einem Glas Kräutersirup begrüsst. Und dann packen die drei Neuankömmlinge auch schon ihre Rucksäcke aus. Nicht, um ein frisches T-Shirt rauszuholen. Nein. Hervor kramen sie zwei Salate, Krautstiel, einen Brokkoli und einige Karotten. «Wunderbar, das alles können wir gerade heute Abend gut fürs Nachtessen gebrauchen», freut sich Nicole und lädt alles auf ein Tablett. Die Szene wird sich noch einige Male mit neuen Gästen wiederholen. Denn es ist kein Zufall, dass Wanderinnen frisches Gemüse oder Früchte hochtragen – sondern bewusst so von den Hüttenwarten eingerichtet. Unten im Tal, am Beginn des Hüttenzustiegs, steht dafür ein Kühlschrank bereit. Den bestückt Hüttenwart Artur Naue täglich mit Frischprodukten von regionalen Produzentinnen und Produzenten.
«Regionalität hat einen besonderen Stellenwert in unserem Nachhaltigkeitskonzept. Wir beziehen praktisch alle Lebensmittel von rund 15 Produzenten aus dem Engadin und dem Val Müstair. Aber es ist uns sehr wichtig, dass auch die Gäste einen Beitrag dazu leisten können. Das ermöglichen wir ihnen mit dem Kühlschrank und dem freiwilligen Hochbringen von Frischwaren», sagt Nicole und fügt an, «so können wir rund drei Tonnen Material CO2-neutral hinaufbefördern und vier Helikopterflüge pro Jahr einsparen.» Deshalb wird auch überrascht, wer sich mit einer Cola nach dem steilen Aufstieg erfrischen will: «Bewusst verzichten wir auf Softgetränke, denn diese müssten wir hochfliegen, und die leeren Petflaschen auch wieder hinunter, was ebenfalls rund vier Heliflüge verursachen würde», ergänzt Hüttenwart Artur Naue, «dafür bieten wir jeden Tag verschiedene saisonale Sorten Sirup an, zum Beispiel Colasirup aus dem Schlossgarten in Zernez oder passend zum Ort Lärchenblütensirup.»
Jury-Mitglied Roland Schegg
Es sind eindrückliche Beispiele, die deutlich machen, dass es der Familie Naue ernst ist mit der Nachhaltigkeit. Als der Eigentümer der Hütte, der Schweizer Nationalpark, die über 100-jährige Unterkunft im Jahr 2022 erneut umfassend sanierte, erstellte man auch ein Nachhaltigkeitskonzept. «Die Familie Naue lebt dieses Konzept mehr, als wir es je auf Papier hätten bringen können», sagt Ruedi Haller, Direktor des Schweizerischen Nationalparks, «das schätzen die Gäste, so dass alles nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch funktioniert.»
So sehr, dass das Hüttenteam in der kurzen, fünfmonatigen Saison rund 6000 Gästen pro Jahr bewirtet. Damit ist die Chamanna Cluozza eine der meistbesuchten Hütten der Schweiz. Weil sie nur etwa fünf Monate geöffnet hat, kommt sie mit ihren 61 Betten auf eine Auslastung von rund 87 Prozent. Davon kann manches Hotel in den Städten nur träumen. Den Ansturm bewältigen kann das vierköpfige Team nur dank eines Pools von rund 50 Freiwilligen: Es sind Hüttenfans, die einige Tage hinter die Kulissen schauen und beim Kochen der vielen hausgemachten Speisen mithelfen wollen. Ein neues Abenteuer steht dabei im Vordergrund. Das Wichtigste aber: gelebter Zusammenhalt.
Dementsprechend lebendig geht es gerade in der Küche zu und her: Zwei Personen kümmern sich um den Abwasch, eine bereitet gerade ein Apéro-Plättli vor, jemand schnetzelt den erntefrischen Krautstiel, eine weitere Person stellt Gratinformen bereit. Später am Abend werden über 60 hungrige Gäste mit Genuss die überbackenen Pizzoccheri mit Krautstiel verspeisen. Darunter auch Franziska mit ihren beiden sichtlich zufriedenen Kindern: «Wenn es in den Nationalpark geht, lassen meine Kinder immer noch etwas Platz im Rucksack. Wegen dem Kühlschrank. Dass sie Gemüse mit hochnehmen dürfen, macht das besondere Erlebnis im Nationalpark unterwegs zu sein, noch ein Stück besonderer.»